Als
Helmut Schmidt im Jahr 1974 dem wegen der Guillaume-Affäre
zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt in das Amt folgte, war ich
gerade einmal neun Jahre alt. Ich wuchs im Ostteil Berlins auf, mit
Westfernsehen. Mit Helmut Schmidt begann mein politisches Interesse, ihn
nahm ich wahr, Willy Brandt hingegen nicht.
Ich
wuchs auf einerseits mit sozialistischer Indoktrination, anererseits
mit westdeutschen Nachrichten. Nachrichten über Baader, Meinhof und
Ensslin, RAF-Anschläge, Schleyer-Entführungen, die Morde an Schleyer,
Ponto und Buback und die Entführung der Lufthansamaschine nach und die
Geiselbefreiung in Moghadishu.
Ich
wurde groß mit dem Ringen um den NATO-Doppelbeschluss, den Parolen
"Schwerter zu Pflugscharen" und den Nachrichten über die Ostermärsche in
der Bundesrepublik.
Helmut
Schmidt war als Bundeskanzler jener Zeit eng mit diesen Dingen
verbunden. Er traf durchaus unpopuläre Entscheidungen, die auch ich
nicht immer verstand, insbesondere die Sache mit der Aufrüstung habe ich
nicht verstanden.
Helmut
Schmidt stand aber auch, wie der kürzlich verstorbene Egon Bahr, für
eine innerdeutsche Kommunikation. Er traf sich mit SED-Chef Honecker in
Güstrow und baute wie kein anderer die Ständige Vertretung in Ostberlin
aus.
Seine
Amtszeit wurde auch durch Wirtschafts- und Ölkrisen bestimmt, die
Deutschland während seiner Amtszeit vergleichsweise gut überstand. Er
manifestierte die freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich auf
höchstem Niveau.
Seine Amtszeit endete frühzeitig durch ein Misstrauensvotum und dem Koalitionsverrat der FDP.
Schmidt
war immer kontrovers, aber er stand zu dem, was er tat. Er war loyal
und hatte Rückrat, Eigenschaften, die heutigen Politikern fast gänzlich
fehlen.
Das
er Eier in der Hose hatte, bewies er auch in Hamburg als Innensenator.
Während der Sturmflut 1963 managte er die Hilfsmaßnahmen in einer Art,
für die ihm die Hamburger bis heute zutiefst dankbar sind. Er war der
Erste, der ohne jeden rechtlichen Rückhalt die Bundeswehr zur
Hilfeleistung einsetzte. Mittlerweile auf gesetzliche Füße gestellt,
basiert darauf der heutige Einsatz der Bundeswehr bei zivilen
Katastrophen, z.B. der Oderflut 1997. Deutschland hat ihm viel zu
verdanken. Er war maßgeblich für mein politisches Interesse.
Helmut
Schmidt starb heute im Alter von 96 Jahren. Deutschland verliert mit
ihm einen der hervorragendsten Politiker und den aus meiner Sicht besten
Bundeskanzler, den ich bewusst erleben durfte.
Bildquelle: Bundesarchiv via Wikipedia
Bildquelle: Bundesarchiv via Wikipedia
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