10.11.2015

Zum Tod von Helmut Schmidt - Ein Nachruf

Als Helmut Schmidt im Jahr 1974 dem wegen der Guillaume-Affäre zurückgetretenen Bundeskanzler Willy Brandt in das Amt folgte, war ich gerade einmal neun Jahre alt. Ich wuchs im Ostteil Berlins auf, mit Westfernsehen. Mit Helmut Schmidt begann mein politisches Interesse, ihn nahm ich wahr, Willy Brandt hingegen nicht.
Ich wuchs auf einerseits mit sozialistischer Indoktrination, anererseits mit westdeutschen Nachrichten. Nachrichten über Baader, Meinhof und Ensslin, RAF-Anschläge, Schleyer-Entführungen, die Morde an Schleyer, Ponto und Buback und die Entführung der Lufthansamaschine nach und die Geiselbefreiung in Moghadishu.
Ich wurde groß mit dem Ringen um den NATO-Doppelbeschluss, den Parolen "Schwerter zu Pflugscharen" und den Nachrichten über die Ostermärsche in der Bundesrepublik.

Bundesarchiv_B_145_Bild-F048646-0033,_Dortmund,_SPD-Parteitag,_Helmut_SchmidtHelmut Schmidt war als Bundeskanzler jener Zeit eng mit diesen Dingen verbunden. Er traf durchaus unpopuläre Entscheidungen, die auch ich nicht immer verstand, insbesondere die Sache mit der Aufrüstung habe ich nicht verstanden.
Helmut Schmidt stand aber auch, wie der kürzlich verstorbene Egon Bahr, für eine innerdeutsche Kommunikation. Er traf sich mit SED-Chef Honecker in Güstrow und baute wie kein anderer die Ständige Vertretung in Ostberlin aus.
Seine Amtszeit wurde auch durch Wirtschafts- und Ölkrisen bestimmt, die Deutschland während seiner Amtszeit vergleichsweise gut überstand. Er manifestierte die freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich auf höchstem Niveau.
Seine Amtszeit endete frühzeitig durch ein Misstrauensvotum und dem Koalitionsverrat der FDP.
Schmidt war immer kontrovers, aber er stand zu dem, was er tat. Er war loyal und hatte Rückrat, Eigenschaften, die heutigen Politikern fast gänzlich fehlen.
Das er Eier in der Hose hatte, bewies er auch in Hamburg als Innensenator. Während der Sturmflut 1963 managte er die Hilfsmaßnahmen in einer Art, für die ihm die Hamburger bis heute zutiefst dankbar sind. Er war der Erste, der ohne jeden rechtlichen Rückhalt die Bundeswehr zur Hilfeleistung einsetzte. Mittlerweile auf gesetzliche Füße gestellt, basiert darauf der heutige Einsatz der Bundeswehr bei zivilen Katastrophen, z.B. der Oderflut 1997. Deutschland hat ihm viel zu verdanken. Er war maßgeblich für mein politisches Interesse.
Helmut Schmidt starb heute im Alter von 96 Jahren. Deutschland verliert mit ihm einen der hervorragendsten Politiker und den aus meiner Sicht besten Bundeskanzler, den ich bewusst erleben durfte.

Bildquelle: Bundesarchiv via Wikipedia

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