23.11.2021

Bedenklich, sehr bedenklich

Leute, ich verstehe das: Nichtgeimpfte verhalten sich unsolidarisch und es ist unverständlich, dass man sich mit den absurdesten Gründen vor der Impfung drückt. Und das macht sauer - auch mich.

Andererseits müssen wir, die Geimpften, nicht so tun, als wären wir die solidarischen Heros, denn wenn wir ehrlich sind, haben wir uns aus eher egoistischen Gründen impfen lassen, nämlich in erster Linie wegen unserer eigenen Gesundheit und weil keiner von uns auf der Intensivstation verenden will. Hier ist allerdings auch eine solidarische Komponente erkennbar: die Entlastung der Krankenhäuser und somit auch die Entlastung der Krankenkassen und des Pflegepersonals. 

Der zweite Grund ist wesentlich egoistischer und diesen leben wir, die Geimpften, gerade mit all uns zur Verfügung stehenden Härte und Arroganz aus: Wir wollen arbeiten, shoppen, reisen und all die Nichtgeimpften, im Bundesdurchschnitt sind es noch ca. dreißig Prozent, hindern uns daran - so der allgemeine Tenor befeuert von Politik und Medienlandschaft.

Das hat Folgen. Wir, im Sinne von "der Staat", schränken das Leben der Nichtgeimpften massiv ein. Reiseverbote, Einkaufsverbote, sogar Arbeitsverbote sind im Gespräch - denn nichts anderes ist die geplante Pflicht zu 2G für Arbeitsstätten. Zudem möchte man hier ein Kündigungsrecht installieren.

Wir haben gerade ein riesiges Problem, denn unser einst sehr auf die Einhaltung demokratischer Normen bedachte Staat verselbstständigt sich - und alle (Geimpften) machen mit und lassen es ihm im Sinne der "Volksgesundheit" durchgehen, ohne zu merken oder einer dummen Ignoranz, dass wir uns auf einen ganz gefährlichen Weg begeben. Wie sehr sich die Sache verselbstständigt merkt man daran, dass sich alle in ihren Forderungen gegen Nichtgeimpfte übertrumpfen wollen - mit nach oben offenem Ende. Dies alles geschieht ohne eine gesetzliche Impfpflicht.

Husten, wir haben ein Ödem. Ohne gesetzliche Impfpflicht hat jede*r Bürger*in das Recht, sich impfen zu lassen, ebenso aber auch das Recht dies nicht zu tun und zwar in beiden Varianten ohne vom Staat dafür bevorzugt oder benachteiligt zu werden. Lässt der Gesetzgeber ein Entweder-Oder zu, insbesondere dann, wenn er auf eine gesetzlich Festlegung verzichtet, darf er die Bürger*innen nicht bestrafen, wenn sie eine Wahl treffen, die nicht dem Duktus des Gesetzgebers bzw. des Staates entspricht. Das sollte zumindest in einer funktionierenden Demokratie nicht der Fall sein.

Wir reden derzeit von rund 32 Prozent Nichtgeimpften. Laut RKI ist allen Berechnungen der Bevölkerungsstand vom 31.12.2020 zugrunde gelegt, also 83.129.285 Einwohner*innen, davon sind 68 Prozent vollständig geimpft, weitere knapp 3 Prozent haben zudem die erste Impfung hinter sich, die also defacto aus den 32 Prozent noch rausgerechnet werden müssen, somit sind wir bei 29 Prozent Nichtgeimpften. Davon abrechnen muss man weiterhin ca. 12 Prozent Kinder unter 12 Jahren, deren Impfkampagne ja jetzt gerade erst startet. Es verbleiben also rund 17 Prozent Nichtgeimpfte und auch hier ist es auch noch nicht das Ende, denn diese 17 Prozent beinhalten auch noch die derzeit als "Genesen" geltenden Bürgerinnen und Bürger. Diese kann man allerdings rechnerisch schwer fassen, denn die Statistiken zeigen immer nur die Gesamtzahl der Genesenen sein Pandemiebeginn. Um das allerdings halbwegs real abbilden zu können, bräuchte man den Wert der Genesenen der letzten fünf Monate. Es bleibt nur eine Schätzung und unter Berücksichtigung der Fallzahlen der letzten Monate müsste die Zahl der derzeit als genesen geltenden Menschen bei ca. einem Prozent liegen. Damit sind wir bei 16 Prozent tatsächlich nicht geimpfter Personen, also die, die für uns als uneinsichtige Impfverweigerer und somit als besonders üble unsolidarische Zeitgenossen gelten, die es auf jeder Ebene zu reglementieren gilt und rein theoretisch müsste man hier auch noch den Teil rausrechnen, der sich aus einer medizinischen Indikation heraus nicht impfen lassen kann.

Was ist nun der Grund für die 16 Prozent, sich nicht impfen zu lassen? Zum einen kann man tatsächlich ein politisches Statement erkennen. Rebellion. Wenn der Staat was will, machen wir das Gegenteil und tatsächlich kann man hier auch prozentual die ideologischen Fehltritte diverser Parteien und Organisationen wiederfinden, sei es die AfD, "Die Basis", "Die Rechte", aber auch einige Kirchenfundamentalisten bringen hier ihr krudes Weltbild ins Spiel. Einige haben allerdings einfach nur Angst. Angst vor Nebenwirkungen, Spätfolgen, Chips und Dips. Angst hinterher zeugungs- oder gebärunfähig zu sein usw. usf. ... Ängste baut man aber nicht durch Druck oder Überzeugungsrederei ab. Ich selbst habe Höhen- und Flugangst und da kann man mich noch so sehr versuchen, zu überzeugen, dass doch oben alles toll ist: Es ist mir egal. Ich muss selbst die Überwindung dazu hinbekommen, auf's Türmchen zu gehen oder in den Flieger zu steigen.



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