16.09.2021

3G und 2G ... Wie das Grundgesetz mit Füßen getreten wird

Sind wir doch mal ehrlich: 

Jede*r von uns Geimpften freut sich über die kleinen Freiheiten, die wir durch die zwei kleinen Piekse zurückerhalten haben und kaum eine*r von uns hat Verständnis für diejenigen, die sich nicht impfen lassen. Auch ich gehöre dazu, auch ich verstehe es nicht, wie man an bescheuerte Verschwörungstheorien glauben kann.

Wir sollten allerdings auch nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen können, obwohl sie es gerne würden. Dazu gehören insbesondere in Deutschland erst einmal alle Kinder unter 12 Jahren. Es gibt aber auch andere Gründe, eine Chemotherapie zum Beispiel oder Unverträglichkeiten, Allergien, Nebenreaktionen mit anderen Medikationen.

Neben alledem sticht allerdings auch eine wesentliche Tatsache heraus, die aber von uns kaum beachtet wird: 

Im Jahr 2020 und oftmals in diesem Jahr wiederholt hat die Regierung unseres Landes entschieden, dass es keine gesetzliche Impfpflicht bezüglich Covid-19 geben wird. Bei den Masern hatte man sich vor wenigen Jahren wenigstens für Teilimpfpflicht entschieden, zumindest für bestimmte Berufsgruppen und für Kindergarten- und Schulkinder.

Die Möglichkeit der Impfpflicht ist im Grundgesetz durch Artikel 2 Absatz 2 gegeben: Die Körperliche Unversehrtheit kann per Gesetz eingeschränkt werden. Ein Gesetz zur Impfpflicht wäre also nicht verfassungswidrig.

Nun, nach anderthalb Jahren Covid-19-Desaster, hat man offensichtlich einen Weg gefunden, Impfverweigernden die Impfung schmackhaft oder besser alternativlos zu machen. 3G (Getestet, geimpft, genesen) und 2G (Geimpft, genesen) sind offensichtlich jetzt die Mittel der Wahl, sprich:

"Motivation durch Ausgrenzung"

und zwar ohne die gesetzliche Grundlage eines Impfpflichtgesetzes. Die 3G-2G-Regelungen werden jetzt in die teilweise eh schon verfassungsrechtlich bedenklichen landeseigenen Covid-19-Verordnungen gebastelt und dies mit oftmals besonderer Perfidität: Gastronomen, Kulturschaffende, Veranstaltende etc. sollen selbst entscheiden, wie weit sie ausgrenzen wollen. Mindestanforderung ist 3G und wer mehr will, macht es und teilweise ist man jetzt schon in vorauseilendem Gehorsam bei 1G (geimpft) gelandet, wie das Beispiel der Fischerhütte am Berliner Schlachtensee beweist.

Eines sieht man hier jetzt deutlich: Ausgrenzung verselbstständigt sich und niemand stellt sich die Frage, ob dies überhaupt rechtens ist. Die Antwort müsste eigentlich jede*r Demokrat*in klar sein. Nein, es ist nicht rechtens.

Es ist schlicht und einfach verfassungswidrig, denn mit dem Verzicht auf eine gesetzliche Impfpflicht hat der Staat auch darauf verzichtet, die Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben - aus welchen Gründen auch immer - oder sich nicht impfen lassen können, zu reglementieren und zu benachteiligen. Während 3G ja immer noch die Möglichkeit der Freitestung bietet, ist 2G ganz klar ausgrenzend, diskriminierend und verfassungswidrig.

Jede*r, d. das nicht so sieht, sollte sich mit Artikel 3 GG befassen. Dieser besagt unter (1): 

"Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich." 

und auch (2) ist da ziemlich eindeutig: Niemand darf benachteiligt werden, aus welchen Gründen auch immer. Und eine fehlende Sache ist im Artikel 3 GG äußert wichtig, nämlich der Satz, der in einigen anderen Artikeln des Grundgesetzes - u.a. Artikel 2 - zu finden ist:

"Dieses Recht darf nur aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden."

Somit ist Artikel 3 nicht einschränkbar. Er gilt für den Staat, die Regierung und jede*n Bürger*in dieses Landes - ohne jede Ausnahme.

Die rechtliche Konsequenz daraus ist: Gibt es kein Impfgesetz, dass durch den Artikel 2 GG geschützt ist, ist mindestens 2G verfassungswidrig, denn damit wird die Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Artikel 3 GG ad absurdum geführt. 

Nun hört man immer "Ja, das sind ja Impfgegner und die sind ja selber schuld, wenn sie sich nicht impfen lassen.". Genau hier fängt man an, Ausgrenzung gesellschaftlich zu akzeptieren, ohne sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, was dies in der Folge für Konsequenzen haben kann und genauso wie die Impfgegner*innen auf dem Ego-Pfad wandeln, tun es die Menschen, die dieser Argumentation anhängen auch.

Es sei noch einmal betont: Es gibt keine gesetzliche Impfpflicht. Somit ist es legitimes demokratisches Mittel, sich gegen eine Impfung zu entscheiden, auch wenn es für uns schwer nachvollziehbar ist. Die Impfung ist ein Recht und keine Pflicht. Auch die Impfverweigerung ist somit ein Recht und keine Pflicht. Das ist der kleine, aber feine Unterschied.

Drehen wir den Spieß doch einfach mal um und stellen uns vor, eine Partei von Impfgegnern würde die kommende Wahl gewinnen und als erstes beschließen, dass alle Geimpften nicht mehr in die Gastronomie dürfen. Würden wir dies hinnehmen? Mit Sicherheit nicht.

Ich möchte noch einen Vergleich ziehen: Das Wahlrecht.

Die rechtliche Lage ist hier nämlich sehr ähnlich. In Deutschland gibt es ein Wahlrecht und keine Wahlpflicht, mit anderen Worten: Wir dürfen wählen, müssen es aber nicht - aber es wäre schön, wenn wir es täten - schließlich leben Staat und Demokratie ja auch von der Wahlbeteiligung und der Staat will ja immer möglichst viele zur Wahl bewegen. Und nun stelle man sich vor, plötzlich hieße es: Wer nicht gewählt hat, darf vier Jahre nicht ins Restaurant, ins Hotel oder ins Museum. Einfach mal so als "Erziehungsmittel". Wer nicht wählt, wird ausgrenzt, damit beim nächsten Mal gefälligst gewählt wird. Würden wir das hinnehmen? Nein, würden wir nicht.

2G hat noch ein ganz anderes übles Gschmäckle: Es befeuert eben jene Verschwörungstheoretiker*innen, die mit gelben "Ungeimpft"-Sternen Holocaust relativierend durch die Gegend wanken, denn es trifft genau das ein, was sie verschwörerisch prophezeien.

Ja, man muss sich auch die Frage stellen, wie es nach 2G weitergeht. 1G erwähnte ich ja schon, aber was kommt dann? Was kommt als nächstes? Anfang September wurde ja schon vorgeschlagen, Nichtgeimpfte von der Beförderung auszuschließen. Was kommt als nächstes? Beugehaft in Quarantänelagern? Wo sind die Grenzen, wenn 3-1G nicht wirken?

Gerade Deutschland hat tatsächlich die reale Erfahrung gemacht, was Ausgrenzung bewirkt und wie sehr sie sich mit vorauseilendem Gehorsam verselbstständigt. 

Das sollte jede*r, der sich in diesem Land als Demokrat*in sieht und wahrnimmt, nachhaltig bedenken. 


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