26.04.2021

Die aufgetretene Tür

In Berlin gilt seit gut einer Woche, dass vollständig Geimpfte (plus einer Karenz von 2 Wochen) sich vor dem Einkaufen etc. nicht mehr testen lassen müssen. Nun gut, hier geht es jetzt NUR um Tests, aber Berlin hat damit die Tür zu einem Flur aufgetreten, dessen Ende niemand kennt - ein gefährliches Unterfangen.

Nun hätte man es kommen sehen müssen: Etliche öffentliche Protagonisten, unter anderem die Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD), fordern mehr Freiheiten für vollständig Geimpfte, freundlich umschrieben mit "Rückgabe von Freiheitsrechten".

Spätestens jetzt muss man dann doch hellhörig werden - als Demokrat, als Anhänger des Rechtsstaates und insbesondere auch als Antifaschist. Nicht, dass man diesen fröhlichen Protagonisten jetzt faschistisches Gedankengut unterstellen müsste, sie meinen es ja vermutlich sogar gut, aber es ist verfassungsrechtlich bedenklich und ist mehr als geeignet, die Gesellschaft noch mehr zu spalten, als sie es eh schon ist. Eine solche Entscheidung wäre falsch und vermutlich in hohem Maß verfassungswidrig.

Natürlich ist auch mir bewusst, dass diese Idee gerade unter den Geimpften ihre Befürwortung findet, aber ich möchte auch hier einiges zu bedenken geben:

1. Impfpflicht

Wir haben keine Impfpflicht bei Covid-19 und sie wurde auch von den Verantwortlichen zu Beginn der Pandemie ausgeschlossen und gerade im Wahljahr kommt man aus dieser Nummer auch nicht mehr raus.

2. Grundgesetz

Artikel 3 des Grundgesetzes (der im Übrigen nicht durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann) besagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und niemand aus welchen Gründen auch immer, vom Staat benachteiligt werden darf. Wenn ich allgemein genommene Rechte, wie in der Pandemiephase geschehen, nur einigen zurückgebe, ist dies eine Benachteiligung derer, welche die Voraussetzungen nicht erfüllen. Hier werden zwei Gruppen gebildet: Gute Menschen (geimpft) und schlechte Menschen (ungeimpft). Das ist verfassungswidrig, insbesondere auch deshalb, weil es eben kein Gesetz zur Impfpflicht als Rechtgrundlage gibt und gibt es kein Gesetz muss der Staat alle gleich behandeln.

3. Folgen

Was wären die Folgen dieser Maßnahme?

Die erste Folge ist die Ausgrenzung. Beginnt man erst einmal im Kleinen damit, Menschen auszugrenzen, dauert es nicht lange und wir haben im Großen ein Problem, denn niemand weiß, wo diese Ausgrenzung endet und gerade Ausgrenzungen verselbstständigen sich oft. 

Deutschland hat da Erfahrungen und genau deshalb haben wir dieses Grundgesetz. Aber man muss da nicht einmal in die schlimme Vergangenheit Deutschlands zurückgehen: Jede/r d. schon einmal gemobbt wurde, weiß, was Ausgrenzung bedeutet und was dies aus einem macht.

Ausgrenzung bestimmter Personengruppen bedeutet letztendlich auch immer Gewalt, unterschwellig, psychisch oder physisch und irgendwann steht dann an Geschäften "Zutritt nur für Geimpfte" oder ähnliches. Verlieren Ungeimpfte ihren Job? Gibt es dann in 10 Jahren eine Kennzeichnungspflicht für Ungeimpfte? Wie gesagt: Ausgrenzung ist dazu geeignet, sich zu verselbstständigen, um das zu wissen, muss man kein Verschwörungstheoretiker sein, sondern das hat die Geschichte bewiesen und tagtäglich beweist es das Leben selbst.

Gerade jetzt, in der für alle sehr schwierigen Phase der Pandemie, muss sich ein demokratischer Rechtsstaat wie Deutschland - auch im Hinblick auf die Vergangenheit Deutschlands - genau überlegen, was er tut, denn die Pandemie wird uns schon aufgrund der Mutationen noch sehr lange begleiten.

Solange der Staat zudem nicht jedem ohne Einschränkung ein Impfangebot machen kann, ist diese Idee unabhängig vom grundgesetzlichen Problem, eine Verhöhnung der Bürger*innen. Derzeit ist die Impfung in der Hand des Staates und somit auch ein Machtmittel.

Ich, 56, Berliner, bin kein Querdenker und kein Impfgegner. Im Gegenteil: Ich würde eine Impfpflicht begrüßen. Ich bin Demokrat, Antifaschist und Anhänger der Rechtsstaatlichkeit. Ich freue mich darauf, dass ich voraussichtlich im Mai geimpft werde, was bedeutet, dass ich vermutlich Ende Juli vollständig geimpft bin. Ich freue mich allerdings nicht darüber, dass in Zukunft andere benachteiligt werden sollen, die dieses Glück dann noch nicht hatten.



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