28.01.2017

Erinnerungskultur ...



Die Begriffe „Erinnerungskultur“ und „Erinnerungspolitik“ schlagen spätestens nach den Dresdener Verbalergüssen des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden und Landtagsmitgliedes Höcke recht hohe Wellen. Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik sind im Kontext zur Nazizeit und deren dramatischen Folgen, wie dem Holocaust, falsche Begriffe. Erinnerung kann weder Kultur noch Politik sein. Erinnerung ist zutiefst persönlich.
Kultur und Politik hingegen sind Angebote. Man kann sie nutzen oder es auch einfach lassen. Mit Erinnerung hat beides nichts zu tun. Erinnerung, da persönlich, kann letztendlich auch nicht erwartet, anerzogen oder gar befohlen werden. Zwang bewirkt in der Regel Abneigung und Widerwillen. Erinnerung erwartet wie Gedenken einen persönlichen Bezug – und Ehrlichkeit in besonderem Maße.

Die von den Schrecken der Nazizeit betroffene Generation stirbt aus, Opfer wie Täter. Umso schwerer ist es für die nachfolgenden, nicht mehr direkt betroffenen Generationen, ehrliches Gefühl einer Erinnerung oder eines Gedenkens zu produzieren. Beides ist letztendlich auch nicht notwendig. Erinnerung und Gedenken ist Empathie.
Notwendig hingegen ist Bildung darüber, was zu jener Zeit passierte und warum es passierte. Entsprechende Bildung wirkt dem Vergessen entgegen, denn vergessen sollten und dürfen wir diesen Teil unserer Geschichte nicht, insbesondere dann nicht, wenn niemand mehr da ist, der die Rolle des Zeitzeugen übernehmen kann.

„Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung.“

Wenn ein Höcke unter Beifall in Dresden predigte, die „Erinnerungspolitik um 180 Grad drehen“ zu wollen, dann bedeutet dies letztendlich, dass der Weg hin zum Vergessen freigemacht werden soll. Jeder muss wissen, was damals passierte. Wie jeder allerdings dann mit diesem Wissen umgeht, ist wiederum Bestandteil der Persönlichkeit, des Charakters und den daraus resultierenden Empathiemöglichkeiten.
Gerade für die Nachkriegsgenerationen ist es schwer, die Monstrosität der Naziverbrechen zu erfassen, rund sieben Millionen Menschen alleine durch gezielte Vernichtung: Juden, Roma und Sinti, Behinderte, Homosexuelle.
Diese Zahl und die Tatsache der Vernichtungsindustrie sind in den Köpfen dieser Nachkriegsgeneration kaum darstellbar, was sicherlich – neben schierem Rassismus – eine Ursache für die Holocaustleugnung und deren erneute Vermehrung im Jetzt sein könnte.

„Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“

Die Relativierung erfindet sich täglich neu. Ja, auch andere Staaten haben nicht unerhebliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Eine Industrialisierung der Vernichtung, der Gipfel der Verunmenschlichung, fand hingegen nur durch die Nazis und ihre Kollaborateure statt und das hebt eben diese Verbrechen von denen in den anderen Staaten dann doch noch einmal ab.
Generell muss man aus solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Lehren ziehen und man muss erkennen, dass es den besseren oder wertvolleren Menschen nicht gibt. Ja, wir unterscheiden uns – in Hautfarbe, Intelligenz, Religion, Sexualität und: Denken. Der Mensch ist ein sehr individuelles Wesen. Es gibt allerdings keine Herrenrasse, keine Vereinheitlichung, keine gesellschaftliche Konformität, nur eines: Jeder Mensch ist gleich wertvoll und niemand hat das Recht, anderen Menschen das Menschsein abzusprechen. Durch Außeneindrücke ist der Mensch allerdings auch Opfer und oft auch Täter einer durch Egalität entstandenen Verrohung.
Der Mensch ist nicht konfliktfrei und Kriege beweisen, dass wir die Auseinandersetzung mit aller Gewalt pflegen. Ein ausgeprägtes Revierverhalten ist uns leider in der Evolution noch nicht abhandengekommen. Ungern teilen wir die Welt und ihre Ressourcen. Da werden dann auch in heutiger Zeit rassistische Ressentiments hervorgebracht, Menschen das Mensch sein abgesprochen. Auch Besitzdenken war einer der wirklichen Hauptgründe des Holocaust. Der Holocaust war ein Raubzug, der bereits mit der Enteignung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 begann. Rassismus, Antisemitismus, Antiislamismus – Bestandteile einer eklatanten Neiddebatte. Die da oben, wir da unten. Der eine hat, der andere nicht. Der Jude hat die Banken, alle Juden sind reich, der Flüchtling hat Smartphones, der Flüchtling ist nur hier, um uns abzuzocken und der Afrikaner ist ein lebensbejahender Fortpflanzungstyp. Das ist die Diskussion die wir heute führen. Nichtige Vorbehalte in einer Neiddebatte, an denen wir uns orientieren, statt miteinander solidarisch zu sein. Die Unmenschlichkeit, die hinter diesen Aussagen steht, ist allerdings alt. Diese alten und dennoch modernen Vorbehalte sind es, gegen die wir ankämpfen müssen. Gibt es die Vorbehalte nicht mehr, haben wir auch keinen Grund mehr, uns über das Mittel des Rassismus Freund und Feind herauszupicken.
Uns dieses bewusst zu machen, ist auch Bestandteil unserer Geschichtsbewältigung. Was war der Grund für den Holocaust und warum sind wir immer wieder auf der Suche nach Sündenböcken für unser ureigenes Versagen?
Geschichtsbewältigung betreiben wir allerdings nicht dadurch, dass wir im Stundentakt „Hitlers Helfer“ oder ähnliches durch die Medien treiben. Wenn man nicht emotionale Abstumpfung hervorrufen will, sollte man mit solchen Sendungen sparsam und nicht inflationär umgehen. Als 1979 der US-Vierteiler „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ in Deutschland gesendet wurde, war sie das emotional Gesprächsthema schlechthin, weil das Thema damals ein Tabu aufbrach, Empathie und Emotionen unbeschreiblichen Ausmaßes hervorrief. Plötzlich machte man sich daran, den Holocaust aufzuarbeiten.
Die aus dem Vierteiler resultierende Empathie war damals echt und ungezwungen. Der Schrecken wurde visualisiert, später konnte dies nur noch der US-Film „Schindler’s Liste“ in ähnlicher Form noch einmal erreichen. Empathie kann nicht erzwungen werden, das war am Anfang schon einmal Thema.
Gestern Abend kam eine Dokumentation (uploading-holocaust) über israelische Jugendliche, die – so ist es Tradition – als Klassenfahrt die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und Majdanek im heutigen Polen besuchten. Diese Dokumentation zeigte deutlich, dass auch die israelischen Jugendlichen vollkommen damit überfordert waren, auf Knopfdruck Trauer und Empathie zu zeigen, während sie mit der Fahne Israels im Minutentakt durch die Lager geschleust wurden, während die Betreuer ständig von ihnen verlangten, jetzt endlich Trauer zu zeigen. Etliche brachen aus reinen Schuldgefühlen heraus zusammen, weil sie eben nicht die erwarteten Emotionen vor Ort aufbringen konnten. Auch hier, von der Seite der Nachfolgegeneration der Opfer betrachtet, ist es eben kaum möglich, die Monstrosität der dort geschehenen Verbrechen sofort zu erfassen, weil es mittlerweile die Generation ist, die auch auf dieser Seite der Betrachtung zum Holocaust kaum noch eine direkte Beziehung hat, schon weil auch in Israel die Zeitzeugen aussterben. Diese Dokumentation ist sehr sehenswert und unter dem nachstehenden Link bis 24.02.2017 verfügbar.


Erinnerung, Trauer und Gedenken sind erst dann möglich, wenn die Bezüge dazu vorhanden sind, sei es durch eigene Erfahrung (auch durch Familienangehörige) oder durch Bildung.
Einen ähnlichen Kontext offenbarte die Website yolocaust.de des Künstlers Shahak Shapira. Hier wurden Touristen und Besucher, die in Berlin die Gedenkstätte für die ermordeten Juden Europas besuchten und dort in allen möglichen Positionen unbeschwert Selfies machten, vom Künstler fotografiert wurden und später auf die Leichenberge der Vernichtungslager projiziert.
Aber ist es nicht gerade die Unbeschwertheit als Erfolgsrezept, die heute faschistische, rassistische Ideologien und Denkweisen ad absurdum führt? Diese Unbeschwertheit, die wir heute leben und erleben dürfen, ist das größte Zeichen dafür, dass die Nazis mit ihrer Ideologie keinen Erfolg hatten. Gedenken muss nicht traurig sein.
Man muss allerdings auch dazu sagen, dass viele Touristen nicht wissen, wo sie sich gerade befinden und die durchaus interessante Anlage einfach nur als solche erfassen und nicht als Denkmal. Das Denkmal wirkt offen, wenig bedrohlich und bietet oftmals ein Spiel zwischen Sonne und Schatten.
Die Höckes und Petrys unter uns ärgert eben diese Unbeschwertheit. Sie möchten den Gleichschritt und alle in der gleichen Richtung sehen. Sie bekämpfen die uns eigene Individualität, weil wir eben nicht ihr völkisches Idealbild darstellen.
Rechtes Gedankengut und Antisemitismus sind wieder im Aufwind. Antisemitismus ist immer noch unterschwellig hoffähig. Jüdische Einrichtungen werden besonders bewacht und selten traut sich ein jüdischer Mensch mit offen sichtbaren jüdischen Insignien wie der Kippa auf die Straße. Allerdings hat der Antisemitismus heute nicht mehr nur die nationalsozialistische Ideologie zum Anlass, sondern ist oftmals auch in dem seit rund 70 Jahren schwelenden Nahostkonflikt begründet.
Schiller’s „Leben und leben lassen“ sollte in unseren Köpfen sein und nicht der Neid und Hass. Dann können wir auch auf unsere ganz persönliche Art und Weise derer gedenken, die nicht mehr unter uns weilen und mit zynischer Brachialgewalt in den Lagern des Schreckens ermordet wurden.
Erinnerung braucht ein Fundament, eine Basis.






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