Die
Begriffe „Erinnerungskultur“ und „Erinnerungspolitik“ schlagen spätestens nach
den Dresdener Verbalergüssen des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden und
Landtagsmitgliedes Höcke recht hohe Wellen. Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik
sind im Kontext zur Nazizeit und deren dramatischen Folgen, wie dem Holocaust, falsche
Begriffe. Erinnerung kann weder Kultur noch Politik sein. Erinnerung ist
zutiefst persönlich.
Kultur
und Politik hingegen sind Angebote. Man kann sie nutzen oder es auch einfach
lassen. Mit Erinnerung hat beides nichts zu tun. Erinnerung, da persönlich,
kann letztendlich auch nicht erwartet, anerzogen oder gar befohlen werden. Zwang
bewirkt in der Regel Abneigung und Widerwillen. Erinnerung erwartet wie
Gedenken einen persönlichen Bezug – und Ehrlichkeit in besonderem Maße.
Die
von den Schrecken der Nazizeit betroffene Generation stirbt aus, Opfer wie
Täter. Umso schwerer ist es für die nachfolgenden, nicht mehr direkt betroffenen
Generationen, ehrliches Gefühl einer Erinnerung oder eines Gedenkens zu
produzieren. Beides ist letztendlich auch nicht notwendig. Erinnerung und
Gedenken ist Empathie.
Notwendig
hingegen ist Bildung darüber, was zu jener Zeit passierte und warum es
passierte. Entsprechende Bildung wirkt dem Vergessen entgegen, denn vergessen
sollten und dürfen wir diesen Teil unserer Geschichte nicht, insbesondere dann
nicht, wenn niemand mehr da ist, der die Rolle des Zeitzeugen übernehmen kann.
„Vergessen
ist die Erlaubnis zur Wiederholung.“
Wenn
ein Höcke unter Beifall in Dresden predigte, die „Erinnerungspolitik um 180
Grad drehen“ zu wollen, dann bedeutet dies letztendlich, dass der Weg hin zum
Vergessen freigemacht werden soll. Jeder muss wissen, was damals passierte. Wie
jeder allerdings dann mit diesem Wissen umgeht, ist wiederum Bestandteil der
Persönlichkeit, des Charakters und den daraus resultierenden
Empathiemöglichkeiten.
Gerade
für die Nachkriegsgenerationen ist es schwer, die Monstrosität der
Naziverbrechen zu erfassen, rund sieben Millionen Menschen alleine durch gezielte
Vernichtung: Juden, Roma und Sinti, Behinderte, Homosexuelle.
Diese
Zahl und die Tatsache der Vernichtungsindustrie sind in den Köpfen dieser
Nachkriegsgeneration kaum darstellbar, was sicherlich – neben schierem
Rassismus – eine Ursache für die Holocaustleugnung und deren erneute Vermehrung
im Jetzt sein könnte.
„Es
kann nicht sein, was nicht sein darf.“
Die
Relativierung erfindet sich täglich neu. Ja, auch andere Staaten haben nicht
unerhebliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Eine
Industrialisierung der Vernichtung, der Gipfel der Verunmenschlichung, fand
hingegen nur durch die Nazis und ihre Kollaborateure statt und das hebt eben
diese Verbrechen von denen in den anderen Staaten dann doch noch einmal ab.
Generell
muss man aus solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Lehren ziehen und man
muss erkennen, dass es den besseren oder wertvolleren Menschen nicht gibt. Ja,
wir unterscheiden uns – in Hautfarbe, Intelligenz, Religion, Sexualität und:
Denken. Der Mensch ist ein sehr individuelles Wesen. Es gibt allerdings keine
Herrenrasse, keine Vereinheitlichung, keine gesellschaftliche Konformität, nur
eines: Jeder Mensch ist gleich wertvoll und niemand hat das Recht, anderen
Menschen das Menschsein abzusprechen. Durch Außeneindrücke ist der Mensch
allerdings auch Opfer und oft auch Täter einer durch Egalität entstandenen
Verrohung.
Der
Mensch ist nicht konfliktfrei und Kriege beweisen, dass wir die
Auseinandersetzung mit aller Gewalt pflegen. Ein ausgeprägtes Revierverhalten
ist uns leider in der Evolution noch nicht abhandengekommen. Ungern teilen wir
die Welt und ihre Ressourcen. Da werden dann auch in heutiger Zeit rassistische
Ressentiments hervorgebracht, Menschen das Mensch sein abgesprochen. Auch
Besitzdenken war einer der wirklichen Hauptgründe des Holocaust. Der Holocaust
war ein Raubzug, der bereits mit der Enteignung der jüdischen Bevölkerung ab
1933 begann. Rassismus, Antisemitismus, Antiislamismus – Bestandteile einer
eklatanten Neiddebatte. Die da oben, wir da unten. Der eine hat, der andere
nicht. Der Jude hat die Banken, alle Juden sind reich, der Flüchtling hat
Smartphones, der Flüchtling ist nur hier, um uns abzuzocken und der Afrikaner
ist ein lebensbejahender Fortpflanzungstyp. Das ist die Diskussion die wir
heute führen. Nichtige Vorbehalte in einer Neiddebatte, an denen wir uns
orientieren, statt miteinander solidarisch zu sein. Die Unmenschlichkeit, die
hinter diesen Aussagen steht, ist allerdings alt. Diese alten und dennoch
modernen Vorbehalte sind es, gegen die wir ankämpfen müssen. Gibt es die Vorbehalte
nicht mehr, haben wir auch keinen Grund mehr, uns über das Mittel des Rassismus
Freund und Feind herauszupicken.
Uns
dieses bewusst zu machen, ist auch Bestandteil unserer Geschichtsbewältigung.
Was war der Grund für den Holocaust und warum sind wir immer wieder auf der
Suche nach Sündenböcken für unser ureigenes Versagen?
Geschichtsbewältigung
betreiben wir allerdings nicht dadurch, dass wir im Stundentakt „Hitlers Helfer“
oder ähnliches durch die Medien treiben. Wenn man nicht emotionale Abstumpfung
hervorrufen will, sollte man mit solchen Sendungen sparsam und nicht
inflationär umgehen. Als 1979 der US-Vierteiler „Holocaust – Die Geschichte der
Familie Weiss“ in Deutschland gesendet wurde, war sie das emotional Gesprächsthema
schlechthin, weil das Thema damals ein Tabu aufbrach, Empathie und Emotionen unbeschreiblichen
Ausmaßes hervorrief. Plötzlich machte man sich daran, den Holocaust aufzuarbeiten.
Die
aus dem Vierteiler resultierende Empathie war damals echt und ungezwungen. Der
Schrecken wurde visualisiert, später konnte dies nur noch der US-Film „Schindler’s
Liste“ in ähnlicher Form noch einmal erreichen. Empathie kann nicht erzwungen
werden, das war am Anfang schon einmal Thema.
Gestern
Abend kam eine Dokumentation (uploading-holocaust) über israelische
Jugendliche, die – so ist es Tradition – als Klassenfahrt die Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau und Majdanek im heutigen Polen besuchten. Diese
Dokumentation zeigte deutlich, dass auch die israelischen Jugendlichen
vollkommen damit überfordert waren, auf Knopfdruck Trauer und Empathie zu
zeigen, während sie mit der Fahne Israels im Minutentakt durch die Lager
geschleust wurden, während die Betreuer ständig von ihnen verlangten, jetzt
endlich Trauer zu zeigen. Etliche brachen aus reinen Schuldgefühlen heraus
zusammen, weil sie eben nicht die erwarteten Emotionen vor Ort aufbringen
konnten. Auch hier, von der Seite der Nachfolgegeneration der Opfer betrachtet,
ist es eben kaum möglich, die Monstrosität der dort geschehenen Verbrechen
sofort zu erfassen, weil es mittlerweile die Generation ist, die auch auf
dieser Seite der Betrachtung zum Holocaust kaum noch eine direkte Beziehung
hat, schon weil auch in Israel die Zeitzeugen aussterben. Diese Dokumentation
ist sehr sehenswert und unter dem nachstehenden Link bis 24.02.2017 verfügbar.
Erinnerung,
Trauer und Gedenken sind erst dann möglich, wenn die Bezüge dazu vorhanden
sind, sei es durch eigene Erfahrung (auch durch Familienangehörige) oder durch
Bildung.
Einen
ähnlichen Kontext offenbarte die Website yolocaust.de des Künstlers Shahak
Shapira. Hier wurden Touristen und Besucher, die in Berlin die Gedenkstätte für
die ermordeten Juden Europas besuchten und dort in allen möglichen Positionen unbeschwert
Selfies machten, vom Künstler fotografiert wurden und später auf die
Leichenberge der Vernichtungslager projiziert.
Aber
ist es nicht gerade die Unbeschwertheit als Erfolgsrezept, die heute
faschistische, rassistische Ideologien und Denkweisen ad absurdum führt? Diese
Unbeschwertheit, die wir heute leben und erleben dürfen, ist das größte Zeichen
dafür, dass die Nazis mit ihrer Ideologie keinen Erfolg hatten. Gedenken muss
nicht traurig sein.
Man
muss allerdings auch dazu sagen, dass viele Touristen nicht wissen, wo sie sich
gerade befinden und die durchaus interessante Anlage einfach nur als solche
erfassen und nicht als Denkmal. Das Denkmal wirkt offen, wenig bedrohlich und bietet
oftmals ein Spiel zwischen Sonne und Schatten.
Die
Höckes und Petrys unter uns ärgert eben diese Unbeschwertheit. Sie möchten den
Gleichschritt und alle in der gleichen Richtung sehen. Sie bekämpfen die uns
eigene Individualität, weil wir eben nicht ihr völkisches Idealbild darstellen.
Rechtes
Gedankengut und Antisemitismus sind wieder im Aufwind. Antisemitismus ist immer
noch unterschwellig hoffähig. Jüdische Einrichtungen werden besonders bewacht
und selten traut sich ein jüdischer Mensch mit offen sichtbaren jüdischen Insignien
wie der Kippa auf die Straße. Allerdings hat der Antisemitismus heute nicht
mehr nur die nationalsozialistische Ideologie zum Anlass, sondern ist oftmals
auch in dem seit rund 70 Jahren schwelenden Nahostkonflikt begründet.
Schiller’s
„Leben und leben lassen“ sollte in unseren Köpfen sein und nicht der Neid und
Hass. Dann können wir auch auf unsere ganz persönliche Art und Weise derer
gedenken, die nicht mehr unter uns weilen und mit zynischer Brachialgewalt in
den Lagern des Schreckens ermordet wurden.
Erinnerung
braucht ein Fundament, eine Basis.
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