15.04.2016

Der Böhmermann-Skandal: Eine Posse endet vor Gericht ...

Vor wenigen Minuten hat die Bundeskanzlerin in einer Presseerklärung vor der Bundespressekonferenz mitgeteilt, dass die Bundesregierung in der Causa Böhmermann einem Strafverfahren gemäß § 103 ff. StGB zustimmt.
Gleichzeitig teilte sie ebenso mit, dass dieser Passus im Strafgesetzbuch schnellst möglich entfernt wird.

Die Judikative nimmt also ihren Lauf und die Causa Böhmermann landet eventuell in einem Strafverfahren vor Gericht.
Ein Nachteil für Böhmermann? Wurde er jetzt von der Kanzlerin hochgehängt?

Als ich das Pressestatement der Kanzlerin noch halbschlafend (hatte Nachtschicht) vernahm, war ich zuerst geschockt und ein leises "Fuck" entfleuchte meinen Gehirnwindungen in die Bereiche der verbalen Kommunikation und mich überkam gleich erstmal so etwas wie denkbefreite Spontanwut.

Die allerdings verflog schnell nach der Dusche und dem ersten Kaffee, denn je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr kam ich zu der Überzeugung, dass dies eine fast salomonische Entscheidung war. Warum?

Zum Einen übergibt die Regierung den Fall dorthin, wo es hingehört: eine unabhängige Instanz, die darüber entscheidet, ob überhaupt Anklage erhoben wird oder nicht und wenn ja, wird in einem Strafverfahren festgestellt, ob die Aussagen Böhmermanns strafbewehrt zu verurteilen sind oder nicht.

Zum Zweiten hat die Kanzlerin mit dieser Entscheidung Erdogan defacto die Möglichkeit genommen, gegen Böhmermann vor einem deutschen Gericht eine privatgeführte Klage wegen Beleidigung nach §185 StGB zu führen, da jetzt nur nach §103 verhandelt werden darf, weil das Delikt höherwertig eingestuft ist. Die Privatklage wäre für Böhmermann weitaus gefährlicher, weil hier dann auch das persönliche Empfinden Erdogans deutlich mehr eine Rolle spielen würde. Beim §103 StGB steht hingegen der staatliche Aspekt im Vordergrund, sprich: Wurde der türkische Staat in Form seines Repräsentanten beleidigt? Vermutlich wäre in dem evtl. kommenden Verfahren sogar eine Nebenklage Erdogans (als Privatperson) ausgeschlossen.

Zum Dritten teilte die Kanzlerin gleichsam mit, dass der §103 ff. StGB nicht mehr lange existieren und schnellstmöglich aus dem Strafgesetzbuch entfernt wird. Auch das kann als klares Zeichen in Richtung unserer Weltdespoten a la Erdogan gesehen werden: Den Mist macht Ihr nur einmal mit uns und nie wieder, was wiederum die grundgesetzlich manifestierte Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit unterstützt.

Zum Vierten hat die Kanzlerin auch gesagt, dass Deutschland und seine BürgerInnen und sein KünstlerInnen gerade in Fragen der Türkei als evtl. Beitrittsland der EU es sich nicht nehmen lassen werden, auch weiterhin Probleme in der Türkei anzusprechen.

Zum Fünften wird juristisch eine klare Grenze definiert, was u.U. in anderen noch kommenden Fällen für die Satire für Rechtssicherheit sorgt. Präzidenzfälle können auch in Deutschland und nicht nur im anglikanischen Rechtswesen eine wertvolle Hilfe bei künftigen Bewertungen sein.

Und zu guter letzt hat Erdogan zwar sein Verfahren, aber ihm ist die Möglichkeit genommen, gegen unser Land insgeamt Parole zu machen, was durchaus die anzunehmende Folge bei einer Abweisung durch die Kanzlerin gewesen wäre. Mit seinem inszenierten Drama dürfte sich Erdogan insgesamt selbst ausgetrickst haben.

Insgesamt kann man die Entscheidung, das Verfahren zuzulassen, zu 80 Prozent als Tritt ins Gekröse Erdogans bewerten, die verbleibenden 20 Prozent sind der nicht zu unterschätzenden Diplomatie geschuldet.

Bei der Bewertung der Schuldfrage vor Gericht dürfte die genaue Wortwahl Böhmermanns dann eine nicht unerhebliche Rolle spielen und das vor die einzelnen Passagen vorangestellte "Darf man das sagen? Nein, darf man nicht." nimmt juristisch betrachtet dem Vorgang zu einem nicht unerheblichen Teil die Beleidigungstatbestände, denn diese Aussagen werden damit ganz gezielt in den Bereich des Beispiels genommen. Grundlage der Aussagen und deren dramaturgisch überzogenen Spitzen ist nämlich nicht die Beleidigung, sondern der Vergleich, nachdem Erdogan den deutschen Botschafter aufgrund eines Extra3-Beitrages, bei dem er auch nicht gut wegkam, einbestellen ließ. Es wurde ein Vergleich gemacht: Nicht das ist beleidigend, sondern das. 
Die eben erwähnten Zwischenfragen dürften also der maßgebliche Punkt der Bewertung sein und wären sie nicht erfolgt, hätte Böhmermann ein größeres Problem.

Der Kanzlerin bleibt dennoch vorzuwerfen, dass sie nach Bekanntwerden der Sendung sich gegenüber Erdogan zu einem Statement hinreissen ließ. Das war taktisch dumm. Das Problem selbst, jetzt nach den kleinkindbehafteten Reaktionen Erdogans, hat sie dennoch aus meiner Sicht gut gelöst.

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