Neuerdings gilt die Herabsetzung von Geschwindigkeiten, insbesondere in urbanen Bereichen als exklusives Heilmittel gegen jede Art von Emissionen. Feinstaub, CO², Lärm - nahezu für alles wird Geschwindigkeitsbegrenzung als Lösung glorifiziert.
In Berlin hat man im Laufe des letzten Jahres diverse Straßen mit erhöhter Luftverschmutzung auf Tempo 30 umgestellt, unter anderem die Kantstraße. Wie dem Radio jedoch vor zwei Tagen zu entnehmen war, ist die Belastung in dieser Zeit offensichtlich nicht in ihren Werten gefallen, sondern sogar angestiegen. Als besonderen Hotspot der Luftverschmutzung wird immer wieder die Neuköllner Silbersteinstraße genannt und spätestens hier sollte jeder, der den Plan hegt, das Problem mit Geschwindigkeitsbegrenzung zu lösen hellhörig werden, denn:
Die Silbersteinstraße ist schon seit Jahrzehnten auf Tempo 30 gesetzt.
Ich selbst wohne seit 1999 in Neukölln und ich kenne diese Straße nur als Tempo 30 und als besonderes Dauerhobby der mobilen Geschwindigkeitsüberwachung. Dort fährt man tatsächlich als Berliner in der Regel wirklich 30, denn man kann davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit, ein teures Foto zu bekommen, sehr hoch ist. Die Silbersteinstraße kann also durchaus als Referenzstraße in Sachen Tempo 30 genommen werden.
Die Silbersteinstraße ist als Verbindungsstraße zwischen den Ortskernen Tempelhof und Neukölln sicherlich frequentiert, sie ist allerdings nicht übermäßig belastet, sofern nicht die in der Richtung parallel führende Stadtautobahn gestört ist. Am Anfang der Silbersteinstraße (dort heißt sie noch Oberlandstraße) ist einiges an Industrie (Bahlsen, P&G - Gilette etc.), man kann allerdings nicht behaupten, dass dadurch Schlangen an LKW sich durch die Straße winden. Wenn ich mich richtig entsinne, besteht dort sogar ein Durchfahrtverbot für LKW. Und es gibt eine Buslinie. Die Straße ist dann bebaut mit drei- bis fünfstöckigen Häusern und ist in beiden Richtungen einspurig mit Parkstreifen hier und da.
Das die Reduzierung der Geschwindigkeit in derartigen Straßen wenig bringt, ist logisch und man eigentlich schon mit etwas mathematisch-physikalischem Grundwissen herausfinden, dass die Belastung bei Tempo 30 höher sein muss, als bei Tempo 50. Warum?
Ganz einfach:
Zum einen wird Tempo 30 in den unteren Gängen gefahren, sprich 2. maximal 3. Gang, was im Verhältnis einen höheren Spritverbrauch, mehr Abgase und mehr Lärm zur Folge hat. Zudem verlängert sich durch das geringere Tempo die Verweildauer innerhalb einer Strecke. Selbst wenn man also unterstellt, dass Tempo 30 etwas weniger Emission verursachen würde als Tempo 50, müsste die längere Verweildauer ausgeglichen werden und die beträgt immerhin 40 Prozent und dazu ist der Abstand der Emissionswerte zu gering. Mit anderen Worten: Die 40 Prozent verschlingt die unterstellten Einsparungen komplett und erhöht die Werte sogar.
In der Kantstraße gibt es noch eine weitere Negativwirkung:
Bei Tempo 50 gab es so halbwegs eine grüne Welle, was die Verweildauer in einem Streckenbereich auch noch deutlich reduziert. Die gibt es bei Tempo 30 nicht mehr und Ampeln gibt es auf dieser Straße reichlich. Man fährt 30 und steht mittlerweile fast an jeder Kreuzung, da hilft auch die beste Abschaltautomatik moderner Fahrzeuge wenig.
Tempo 30 ist sicherlich geeignet, vor Schulen, Kindertagesstätten, Seniorenheimen oder Unfallschwerpunkten die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Tempo 30 ist allerdings ein Fehlgriff bei der Vermeidung von Emissionen aller Art. Emissionen im urbanen Bereich werden durch Stop-and-Go verursacht und nicht durch Geschwindigkeit. Grüne Wellen und Stauvermeidung dürften letztendlich die Lösungen sein, zusammen mit ausreichender Bepflanzung mit Pflanzen, die einen hohen Anteil des CO² mit Fotosynthese bewerkstelligen können. Das beste Heilmittel ist immer noch, wenn ein Streckenbereich zügig durchfahren werden kann, sofern man Autos nicht ganz aus der Stadt verbannen möchte.
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